Peter Dotterweich

Eisbären im Odenwald

„Eisbären im Odenwald.“ Der Titel des Buches ist eine kühne Behauptung, denn jeder weiß, dass es keine Eisbären im Odenwald gibt. Oder doch? Gesehen habe ich noch keinen. Aber in einer Geschichte, die in diesem Buch abgedruckt ist, kommt ein Eisbär vor. Deshalb habe ich mich für diesen Buchtitel entschieden. Der Untertitel des Buches „Dorfgeschichten aus Südhessen von sällemols bis heit“ verrät schon mehr über den Inhalt des Buches.
Es sind Geschichten wie sie vor Jahrzehnten, als es noch kein Fernsehen und Internet gab, von den Alten „Am Dalles“ (Dorfplatz) und in den Gasthäusern an den Stammtischen erzählt wurden. Mein Großvater nahm mich oft mit dorthin. Diese Geschichten interessierten mich brennend. Mit offenem Mund und Ohren so groß wie Rhabarberblätter lauschte ich den Alten. Ich glaubte zunächst alles was ich hörte. Doch mit der Zeit merkte ich, dass die Alten flunkerten, dass sich die Balken bogen. Trotz alledem ließen mich diese Geschichten bis heute nicht mehr los.
Die Geschichten wurden ausnahmslos alle in Mundart erzählt und fanden, unter anderem, über die Stammtische sehr schnell eine weite Verbreitung. Viele dieser Dorfgeschichten haben bestimmt einen wahren Kern. Allerdings wurde durch die mündliche Weiterverbreitung der Geschichten ihr Kern sehr modifiziert. Es lag in der Natur der Sache, dass sich die Superlative im Laufe der Weitererzählungen steigerten und, wie bei den Anglern die Fische und bei den Jägern die Hirsche, immer größer und mächtiger wurden, je öfter sie ihre Geschichten erzählten.
Und dann gibt es Geschichten, von denen niemand annimmt, dass sie sich tatsächlich so zugetragen haben. Manche sind recht derb, dabei aber so witzig, dass man sich wünscht sie wären wahr.
Diese Geschichten flatterten wie bunte Schmetterlinge übers Land und brachten den Menschen etwas Farbe in ihren grauen, arbeitsreichen Alltag.
Da diese Geschichten alle in Mundart erzählt wurden, wollte ich sie auch in Mundart schreiben. Doch nach längerem Überlegen nahm ich Abstand davon. Es ist leider so, dass die Mundartsprecherinnen und -sprecher auch bei uns immer weniger werden. Dazu kommt noch, dass selbst Mundartsprecher große Probleme haben Mundart zu lesen, und die junge Generation hat dazu überhaupt keinen Bezug mehr. Deshalb habe ich die Geschichten in Hochdeutsch geschrieben, auch in der Hoffnung, sie so einem breiteren Leserkreis zugänglich zu machen.
Ich habe versucht, die Dorfgeschichten in einer Sprache zu schreiben, die sich an die Mundart der Menschen anlehnt, die sie erlebt haben – so, dass deren Art zu denken und sich zu geben spürbar wird. Dabei habe ich mich darum bemüht, mich in die der Mundart eigentümliche Grammatik, einzufühlen und zu schreiben. Die Dialoge habe ich alle in Mundart geschrieben, weil sie nur so authentisch werden. Aber nach kurzem Einlesen müssten eigentlich aus deren ,Klang‘ und inhaltlicher Einbindung die richtige Bedeutung ablesbar sein.
Wenn ein Auswärtiger Odenwälder Platt hört und von Odenwälder Mundart spricht, glaubt er eine gewisse Einheitlichkeit von Merkmalen in Lautgebung, Wortschatz, Sprachrhythmus und Sprachmelodie zu erkennen. In Wirklichkeit hört der Einheimische in diesem Sprachgebiet zwischen Bergstraße, Neckar und Main viele verschiedene Mundarten, denn es gibt kein Tal und kaum ein Dorf, dessen Sprachdialekt seiner Umgebung gleicht.
Geschichten dieser Art werden nicht aussterben, denn es gibt immer wieder Begebenheiten die Stoff für weitere „Dorfgeschichten“ liefern. Das zeigen die letzten drei Geschichten in diesem Buch, die ich selbst erlebt habe und mit etwas Fantasie ausgeschmückt und aufgeschrieben habe.

Peter Dotterweich